Hilfsmittelhersteller sehen Innovationen in Deutschland stark gefährdet

„Die negative Einschätzung des Innovationsklimas in Deutschland nimmt rapide zu. Die Bedeutung des deutschen Marktes sinkt. Soll eine verlässliche Versorgung der Versicherten mit innovativen und hochwertigen Hilfsmitteln in Deutschland weiterhin möglich sein, sehen wir dringenden Handlungsbedarf.“ So lautet das Fazit von Oda Hagemeier, Geschäftsführerin der European Manufacturers Federation for Compression Therapy and Orthopaedic Devices (eurocom), zu den Ergebnissen der im Mai durchgeführten Mitgliederbefragung 2024. 94 Prozent der Mitglieder geben darin ihre Einschätzung zur Lage des Hilfsmittelmarktes und -standortes Deutschland ab.

Besorgniserregend vor allem: 78 Prozent der Befragten – und damit 15 Prozent mehr als im Vorjahr – bewerten das hiesige Innovationsklima als schlecht. Und nur noch für 79 Prozent der Hersteller ist Deutschland zurzeit der wichtigste Markt. 2023 war er dies noch für 86 Prozent. Für ein Fünftel rangiert der deutsche Markt bereits jetzt zwischen Platz 2 und Platz 6. Größtes Standortrisiko mit 93 Prozent sind bürokratische Hürden.

75 Prozent der Hersteller sehen in den Auswirkungen anhaltender nicht abgedämpfter Kostensteigerungen eine Gefahr. Das mit Abstand größte Markt- und Innovationsrisiko ist im Jahr Vier nach Einführung des eurocom-Branchenbarometers das unsichere und langwierige Aufnahmeverfahren neuartiger Produkte ins Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes. Traf dies im Vorjahr noch für 68 Prozent der Befragten zu, so steigt der Wert aktuell auf 83 Prozent drastisch an.

Infografik: Hilfsmittelhersteller sehen Innovationen in Deutschland stark gefährdet

 

Innovationen müssen schneller in die GKV-Welt. Bürokratischen Aufwand unverhältnismäßiger Nachweispflichten senken.

53 Prozent aller Anträge auf Aufnahme eines neuartigen Hilfsmittels ins Hilfsmittelverzeichnis sind in den vergangenen zehn Jahren abgelehnt worden.  Mindestens jeder zweite Antrag also. Schafft es ein neuer Siebensteller, dauert die Aufnahme mehrheitlich fünf bis zehn Jahre und länger. Dies betrifft 67 Prozent der Antragstellenden. Nicht von ungefähr also ist für die Hälfte der Befragten die Refinanzierung erfolgreicher klinischer Studien zur Erlangung einer neuen Produktart im Hilfsmittelverzeichnis kritisch. Die Konsequenz: Für 43 Prozent steht die Durchführung klinischer Studien bereits jetzt auf dem Spiel. 54 Prozent der Befragten sehen eine Beschleunigung und Standardisierung des Aufnahmeverfahrens als dringend geboten. Die Befragung signalisiert Handlungsbedarf: Das Antragsverfahren weist ein Missverhältnis von Aufwand und Nutzen auf, insbesondere im Kontext der vorgelagerten und aufwendigen Konformität mit der Medical Device Regulation (MDR). Diese müssen alle Hilfsmittelhersteller erfüllen und nehmen damit bereits eine große Belastung auf sich. So erzeugt die MDR für 90 Prozent der Befragten die größte regulatorische Kostenbelastung und für 68 Prozent den größten bürokratischen Aufwand. Oda Hagemeier erklärt: „Es ist nicht hinnehmbar, dass Innovationsvorhaben durch überzogene zusätzliche Nachweispflichten unnötig gedehnt oder sogar im Keim erstickt werden. Hier muss eine Beweislastumkehr greifen. Fordert der GKV-Spitzenverband zur Aufnahme eines neuartigen Hilfsmittels ins Hilfsmittelverzeichnis zusätzliche Nachweise des medizinischen Nutzens über den bereits geführten Nachweis im Rahmen der MDR-Konformität hinaus, muss er die Notwendigkeit darlegen. Krankenversicherte müssen ungehinderten Zugriff auf innovative Hilfsmittel haben. Hersteller dürfen nicht auf ihren Studienkosten sitzenbleiben. Andernfalls steht zu befürchten, dass der Hilfsmittelstandort Deutschland kein Innovationsstandort bleiben kann.“

Infografik: Standort & Markt Deutschland werden unattraktiver

 

Standortschließungen nicht ausgeschlossen. Marktgerecht nachjustieren.

Die seit Jahren anhaltenden Kostensteigerungen betreffen alle Hersteller und können – anders als im freien Markt anderer Branchen – im Vertragssystem der gesetzlichen Krankenversicherung nicht oder nur teilweise weitergegeben werden. Dies hat massive Auswirkungen und wird als wachsende Gefahr für den Hilfsmittelstandort Deutschland eingestuft. 43 Prozent der Befragten geben an, Produktionen bereits jetzt oder zukünftig ins Ausland zu verlagern. Erstmals seit Einführung des Branchenbarometers halten die Befragten Standortschließungen für möglich. 14 Prozent geben an, diesen Schritt bei anhaltender Belastung in Erwägung ziehen zu müssen. 75 Prozent befürchten eine Einschränkung ihres Portfolios und damit auch der Versorgungsvielfalt. Erschwerend hinzu kommt aus Sicht von 72 Prozent (2023: 47 Prozent) der Hersteller der immense Fachkräftemangel im Sanitätsfachhandel und in den orthopädie(schuh)technischen Betrieben, den es zu kompensieren gilt. „Eine verlässliche und hochwertige Patientenversorgung zu gewährleisten, stellt für die Branche eine Herausforderung dar, mit der sie nicht allein gelassen werden darf. Damit langfristig verlässlich produziert und versorgt werden kann, dürfen Preissteigerungen nicht einseitig zu Lasten der Hersteller und Leistungserbringer gehen. Deshalb müssen Festbeträge als sinnvolles Instrument zur Ausgabenregulierung rechtssicher sein und – wie auch die Vertragspreise – jährlich marktgerecht angepasst werden. Verstetigt sich der Fachkräftemangel seitens der Leistungserbringer und damit das Defizit an qualifizierter Versorgung, wird dies von der Industrie konzeptionell aufgefangen werden müssen. Auch dies gilt es in marktgerechten Erstattungspreisen zu berücksichtigen“, sagt Oda Hagemeier.

 

Über eurocom

eurocom ist die Herstellervereinigung für Kompressionstherapie, orthopädische Hilfsmittel und digitale Gesundheitsanwendungen. Der Verband versteht sich als Gestalter und Dialogpartner auf dem Gesundheitsmarkt und setzt sich dafür ein, das Wissen um den medizinischen Nutzen, die Wirksamkeit und die Kosteneffizienz von Kompressionstherapie und orthopädischen Hilfsmitteln zu verbreiten. Zudem entwickelt eurocom Konzepte, wie sich die Hilfsmittelversorgung aktuell und in Zukunft sicherstellen lässt. Dem Verband gehören nahezu alle – aktuell 37 – im deutschen Markt operierenden europäischen Unternehmen aus den Bereichen Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel an.

Pressekontakt

Antje Schneider, eurocom e. V. – European Manufacturers Federation for Compression Therapy and Orthopaedic Devices
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